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  3. Author: Heinz Kleger
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Heinz Kleger, Prof. Dr. phil., geb. 1952 in Zürich, Philosoph und Politikwissenschaftler, lehrte 1993-2018 Politische Theorie an der Universität Potsdam, 2004-2008 auch an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.

Hat Putin verloren?

Nach 6 Monaten Krieg verkündet Ministerpräsident Selenski, noch immer im olivgrünen Outfit, zum ukrainischen Unabhängigkeitstag am 25.August (nach 31 Jahren Unabhängigkeit!), dass der Krieg in der Ukraine noch lange nicht vorbei sei, vielmehr werde man sich die annektierten Gebiete, darunter die Krim, wieder zurückholen: „Das Ziel ist der Sieg“.

Zivilisation

Das Verb ‚zivilisieren‘ (civiliser) steht nicht nur begriffsgeschichtlich vor dem Nomen ‚Zivilisation‘, das im französischen 18. Jahrhundert aufkommt. Es wird heute häufiger, bisweilen sogar inflationär gebraucht und ist unverdächtiger, denn es bleibt im Allgemeinen mit einer guten Absicht verbunden (den Kapitalismus zivilisieren zum Beispiel), während heute das große Wort Zivilisation gleich in den „Krieg der Zivilisationen“, den Kampf um die Kulturen, Werte und Identitäten hineingezogen wird. 

Zivilisation ist inhaltlich nicht nur nicht festgelegt, sie wird auch instrumentalisiert. Die „Rettung der Zivilisation“ kann dabei ganz Verschiedenes bedeuten, weshalb bei ihrem Gebrauch Vorsicht am Platze ist, vor allem in politischen Zusammenhängen. Der asymmetrische Gegenbegriff zur Zivilisation (Koselleck., Schmitt) ist die Barbarei. Das gilt für jede Zivilisation. Je höher und mächtiger der zivilisatorische Anspruch, desto heftiger kann der Gegensatz werden Dafür scheinen Zivilisationen besonders anfällig zu sein ( siehe nur den Gebrauch von „amerikanischer Zivilisation“ bei Trump und „russischer“ oder „eurasischer“ Zivilisation bei Putin sowie zahlreichen geopolitischen Ideologen), weshalb kultur- wie politiktheoretisch eine differenzierte Herangehensweise zu empfehlen ist.

Normalität in der Krise – Krise als neue Normalität?

Den neuen Ausnahmezustand bewirkte das Coronavirus: In Analogie zum „schwarzen Freitag“ (1929) sprach man vom „schwarzen Montag“. Das ist der 9.März 2020, womit niemand gerechnet hatte.

Eine Pandemie lässt sich allerdings nur schwerlich mit dem „Ausnahmezustand“ des berühmt- berüchtigten Staatsrechtlers Carl Schmitt („Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“, Politische Theologie 1921) vergleichen, denn sie ist nur indirekt politisch. Normalität entsteht hier durch Testing und Tracking von Daten sowie täglicher Statistik.

Politisch ist eigentlich nur die Nutzung der Pandemie zu Propagandazwecken. Trump spricht vom “ chinesischen Virus“, und China zeigte auf allen Kanälen, wie es Hilfsmittel in sämtliche Länder, auch nach Europa, verschickt. Serbiens Präsident Vucic wendet sich von Europa ab: „Nur China kann uns helfen“ (2.April).

Die ‚Natoisierung‘ Europas

Unsere Reaktionen auf den von Putin entfesselten Ukraine-Krieg standen von Anfang an unter dem spontanen Titel: Putin zwingt zur Re-Militarisierung, und zwar zur Re-Militarisierung des Denkes wie der Politik. (Siehe die Blogbeiträge vom 25.2.2022 – Aufgewacht in einer neuen Welt und 5.3.2022: Barbarei und Widerstand.)

So ist es gekommen, niemand hat das gewollt oder sich gar gewünscht. In die notwendige Verteidigung wird wieder mit hohen Summen und strategischem Denken investiert: gewaltig, gründlich und überraschend schnell. Der historische Natogipfel am 28. bis 30. Juni in Madrid bestätigt dies in aller Deutlichkeit, die Zahlen sind eindeutig.

Demokratiepolitik: Zur Zukunft der Demokratie


Demokratie ist umstritten und war immer umkämpft, lokal, regional, europäisch und international. Je internationaler die Ebene wird, desto grösser wird auch die Versuchung, Demokratie als Scheinetikette zu verwenden (siehe dazu den Blog vom 6. April 2022). Plötzlich wollen alle die besseren Demokraten sein, das Wort hat offenbar einen guten Ruf und eine defizitäre bis schlechte Praxis, selbst bei den Vorbildern. Es deckt zu viel ab und zu viel auf.

Reflexive Realpolitik

Am 100.Tag des Ukraine-Krieges kontrolliert Russland 20% des Territoriums. An ein Ende des Krieges ist nicht zu denken, vielmehr wird der Krieg nicht nur mit unverminderter Härte und Entschlossenheit fortgeführt, sondern erreicht neue Stufen der Eskalation.

Präsident Biden erhöht den Einsatz mit mächtigeren Raketensystemen, die in der Artillerie-Feldschlacht den Ausschlag geben können. Gleichwohl öffnet er auch die Tür für realpolitische Lösungen, die über Verhandlungen laufen müssen. Das nennen wir „reflexive Realpolitik“, die nicht hoffnungsnaiv ist, denn der Zermürbungskrieg kann noch Monate dauern und die Aushandlung einer Friedensregelung mit einem „Terrorstaat“ (Selenski) wird schwierig werden. Daran ist jetzt schon zu denken. Es gibt nicht nur verschiedene Kriege, sondern auch verschiedene Friedensverträge! Der status quo ante wäre die Mindestbedingung (Melnyk).

Weltordnung?

„Eine echte Weltordnung hat nie existiert. Was heute als Ordnung betrachtet wird, entstand vor 400 Jahren an einer Friedenskonferenz in Westfalen ohne Beteiligung oder gar Kenntnis der meisten anderen Kontinente und Zivilisationen,“, so Henry Kissinger (Weltordnung, München 2014, S.11), der bald seinen 100. Geburtstag erreicht und als Politiker wie als politischer Theoretiker der internationalen Beziehungen Gewicht hat.

Wir leben wieder in Kissingers-Welt, den wir im letzten Blog über das Weltwirtschaftsforum in Davos zitiert haben. Das ist zugleich die These des ehemaligen Deutschland- und Russland- Korrespondenten, des heutigen NZZ-Chefredaktors Eric Gujer in seiner Rede anlässlich der Verleihung des Ludwig-Börne-Preises in der Frankfurter Paulskirche (22.5.). Der Ukraine-Krieg wird zweifellos mitbestimmen, wie die Welt(un)ordnung in den nächsten Jahrzehnten aussieht. Er markiert den Beginn eines offenen und unsicheren Jahrhunderts.

Zerrissene Welt

Bundeskanzler Scholz’s abschließende Rede am Weltwirtschaftsforum in Davos am 26. Mai wurde mit Spannung erwartet. Kanzlerin Merkel hatte schon 11 mal dort gesprochen. Erwartet wurde von Scholz eine Stellungnahme zum Ukraine- Krieg und zum Thema des diesjährigen Forums „Geschichte am Wendepunkt“, genauer müsste man sagen: Globalisierung am Wendepunkt.