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  3. Author: Heinz Kleger
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Heinz Kleger, Prof. Dr. phil., geb. 1952 in Zürich, Philosoph und Politikwissenschaftler, lehrte 1993-2018 Politische Theorie an der Universität Potsdam, 2004-2008 auch an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.

Demokratie als Scheinetikette

Die westlichen Demokratien, ob parlamentarisch präsidial oder direkt, werden gegenwärtig eingespannt in einen globalen Systemwettbewerb mit Autokratien/Diktaturen wie China und Russland. Letzteres hat sich auch schon als „gelenkte Demokratie“ (Putin) verstanden und sogar China (People’s Republic of China), beziehungsweise seine Kommunistische Partei, der zahlenmäßig größten Organisation der Welt, will sich als „bessere Demokratie“ profilieren (NZZ, 28.12. 2021, S.13).

Das erinnert an die Lehre von der „Diktatur des Proletariats“ als bessere, nicht-formale Demokratie des Volkes, eine „Volksdemokratie“ also, geführt von einer Partei besonderen Typs (Lenin), welche die Einheit von Staat und Volk verkörpert. Dieser Führungs- und Monopolanspruch hatte und hat Verfassungsrang.

Die neue Weltunordnung

Am 1.4. gibt China die Schuld am Ukraine-Krieg den USA und ihrer Politik der NATO-Erweiterung. Für die Souveränität und territoriale Integrität des Landes Ukraine will China allerdings eine Verantwortung übernehmen, was sich in Friedensverhandlungen auswirken könnte. Nutzt China den Krieg, um weiter antiwestliche Ressentiments gegen die USA zu schüren? Zeichnet sich eine neue Allianz mit Russland ab? Und wo bleibt Europa? Wie sieht die neue Weltunordnung aus?

Die EU investiert in China sechsmal mehr als Russland. Unverhohlen droht die Kommissionspräsidentin von der Leyen dem mächtigen Partei- und Staatschef Xi in einer Videokonferenz anfangs April, dass Verwerfungen in der Weltwirtschaft nicht im Interesse Chinas seien, das eigene große Probleme mit Wachstum zu lösen hat. Allerdings investiert es auch in starkem Masse seit Jahren gezielt in die eigene Aufrüstung, um Kriege führen zu können. Die gedrillte Armee ist die Hauptstütze der Macht der Kommunistischen Partei.

Krieg und Frieden

Ende März wird die Verzahnung zwischen dem Kriegsgeschehen und der Verhandlungsebene wieder enger, was indes kein schneller ‚ewiger‘ Frieden bedeutet. Ein Waffenstillstand ist noch kein Frieden. Die Einschätzungen beider Seiten liegen noch immer weit auseinander.

Die ukrainische Seite traut den Worten der anderen Seite nicht mehr, nachdem so oft gelogen worden ist, und die russische Seite scheint mit Verhandlungen Zeit gewinnen zu wollen für einen ’symbolischen Sieg‘. Man wolle sich jetzt auf „die Befreiung des Donbass konzentrieren“, heißt es aus dem Generalstab.

Wahrheit und Lüge

Ein ehemaliger KGB-Agent sagte kürzlich, „dass es um Lügen geht mit der Beimischung von Elementen der Wahrheit“. So zum Beispiel, wenn der Kreml davon spricht, „die Ukraine vom Nazismus befreien zu müssen.“ Das rechtsextreme Asow-Regiment spielt bei der Verteidigung von Mariupol eine militärische Rolle, hat aber politisch keinen nennenswerten Einfluss weder auf die Regierung noch das Volk der Ukraine.

Der altbekannte Satz, dass in einem Krieg die Wahrheit das Erste ist, was auf der Strecke bleibt, ist richtig. Propaganda wie gezielte Desinformation gibt es auf beiden Seiten, und beide Seiten werfen der anderen Kriegsverbrechen vor. Der Informationskrieg wird im modernen hybriden Krieg immer wichtiger. Putin investiert viel in Desinformationskampagnen, um Demokratien zu destabilisieren. Informationskrieger im Internet helfen ihm dabei.

Krisennormalität statt normale Krisen

Am 27.3. kündigt Bundespräsident Steinmeier in seiner sonntäglichen Ansprache „härtere Zeiten“ an. Was kann noch kommen nach den zahlreichen dringlich-eindringlichen Aufrufen zur Solidarität und den Durchhalteappellen während der Pandemiekrise der letzten zwei Jahre? Vergehen die neuen Krisen nicht mehr wie die früheren ökonomischen und politischen Krisen, die zwar heftig sein konnten, aber jeweils von relativ kurzer Dauer waren?

Historisch-sozialwissenschaftlich unterschied man deshalb zwischen kurzen Krisenphasen und längerfristigen Strukturen der Stabilität (ökonomisch, rechtlich, politisch, kulturell). Die grundlegende Orientierungskrise fiel in die analytisch interessante Krisenphase, in der es jeweils einen Deutungskampf um deren Diagnose und Therapie gab, oft mit innovativem Ausgang aufgrund einer Politik von Verständigungen.

Biden in Polen und die „heilige Verpflichtung“

Der amerikanische Präsident nahm sich zwei Tage Zeit für seinen Besuch in Polen. Es ist weit mehr als ein Symbolbesuch geworden. Zunächst landete die Air Force One in Rzesow, einer Stadt nahe an der ukrainischen Grenze. Polen ist das Tor zu diesem Land im Krieg: für die Flüchtlinge ebenso wie für die Waffenlieferungen. Polen hat bisher mehr als 2,2 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, fast zehn Mal so viele wie Deutschland.

Polen verlangte von Anfang an entschieden mehr militärische Unterstützung für die Ukraine, auch von der Nato, zum Beispiel Kampfjets. Natürlich wusste man um die Riskanz solcher Entscheidungen, man weiß aber auch, dass man Putins Russland mutig und entschlossen entgegentreten muss. Polen ist seit jeher ein Frontstaat, der um seine Freiheit zu kämpfen weiß.

Das transatlantische Bündnis ist gestärkt

Der 24. März ist ein historischer Tag. Der amerikanische Präsident Biden besucht erstmals drei Gipfel in Brüssel: Nato, EU und G7. Die USA übernimmt wieder die politische Führungsrolle des Westens, nachdem es zuvor andere Prioritäten hatte. Biden und Stoltenberg treffen sich zuerst. Die NATO verstärkt ihre Ostflanke und will so Russland „abschrecken“ mit Battlegroups auf NATO-Gebiet.

Heutzutage ist inflationär von Zeichen setzen die Rede. Natürlich ist die Anwesenheit des amerikanischen Präsidenten ein starkes Symbol, insbesondere der Besuch Polens, nahe an der ukrainischen Grenze. Es geht indessen um weit mehr als um symbolische Handlungen. Die amerikanischen NATO-Truppen in Europa werden massiv verstärkt, und Biden spricht vom möglichen Einsatz von Chemiewaffen als „real threat“. Geübt wird fortan unter ABC -(Waffen-)Bedingungen. Die Nato liefert weiterhin nützliche Waffen in die Ukraine, versteht sich aber nicht als Kriegspartei. Wo verlaufen die „roten Linien“, nach denen immer wieder gefragt wird?

Wie geht dieser Krieg zu Ende? (II)

Bald zieht sich dieser lange große unsinnige Krieg einen Monat hin, der nur den irren Sinn hat, die Ukraine zu zerstören. Der Generalsekretär der UNO Guterres spricht von einem „absurden Krieg“. Absurd und wahnsinnig sind das Gegenteil von Common sense. Seit Wochen hören wir allseits die dringenden Appelle an Putin, diesen Krieg sofort zu stoppen. Sie wirken nicht. 

Die Preiserhöhungsstrategie der Kriegsparteien geht derweil unvermindert weiter – wie lange noch? Tage? Wochen? Niemand weiß es. Nur weil Russland eine Atommacht ist, sind nach den apokalyptischen Bildern von Mariupol noch keine Nato-Truppen in der Ukraine. Die Bilder von Grosny und Aleppo will man nicht noch einmal sehen. Immer dasselbe Muster. 

Wie geht der Krieg zu Ende?

Am 19.3. bekräftigt Selenskyj ernsthaft einmal mehr, „es sei Zeit zu reden“, während der Krieg erbarmungslos fortgeführt wird. Dabei sind sowohl die Einschätzungen des Kriegsgeschehens wie der Aussichten von Verhandlungen ganz unterschiedlich.

Die einen sprechen von einem militärischen Patt, andere von der nahenden Niederlage der russischen Armee. Sie sehen nur in der Niederlage dieser und einem Machtwechsel im Kreml ein Ende des Krieges. Andere wiederum sehen Kompromissmöglichkeiten in einer freilich schwierigen und noch schwieriger umsetzbaren Verhandlungslösung (nach dem sogenannten 15 Punkte-Plan). Israel und Erdogans Türkei, die nicht nur zwischen Demokratie und Diktatur, sondern auch zwischen Putin und der EU steht, bieten sich als Vermittler an.

Neutralität als Kompromiss?

Die Ukraine wird nicht kapitulieren, soviel ist gewiss. Warum sollte sie auch, der Widerstand ist erfolgreicher, als es sich die Militärköpfe vorstellen konnten. Die Waffenlieferungen haben ihren Teil dazu beigetragen. Die Offensive der russischen Armee ist ins Stocken geraten.

Wie weit Putin gehen wird, weiß im Moment niemand. Die letzte Wutrede am 16.3. war erschreckend, und der Krieg geht unbarmherzig weiter. Die Regierung von Selenskyj konnte sich eine Neutralität vorstellen, wenn dadurch Putins Krieg sofort beendet wird. Dafür müsste die Ukraine allerdings Schutz- und Sicherheitsgarantien vom Westen erhalten. Von wem und wie?