2021 und die deutsche Kanzlerdemokratie

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Die Bundestagswahlen im Herbst von 2021 werfen ihre Schatten voraus. Erstmals wird es ein offenes und deshalb besonders spannendes Rennen um die Kanzlerschaft ohne Amtsinhaber geben. Das macht die Parteien der Parteiendemokratie, die verfassungsrechtlich privilegiert sind, schon jetzt nervös. Sie müssen sich in einer neuen Konstellation positionieren und eine wirkungsvolle Kampagne vorbereiten. Deshalb ist eine Verengung des Politischen und Demokratischen auf die Kanzlerdemokratie zu konstatieren. Dazu kommt, dass mit der EU-Ratspräsidentschaft im Herbst und den für Deutschland wichtiger werdenden außenpolitischen Fragen (Nato, Libyen, Syrien, Russland u.a.) eine deutliche Verschiebung hin zu brisanten Themen absehbar ist, welche die Führungskraft der Kanzlerdemokratie herausfordern und begünstigen werden. Nicht zufällig hat auch der Außenpolitiker Norbert Röttgen seine Kandidatur angekündigt. Europa soll mit dem Führungsduo Frankreich / Deutschland nichts weniger als „weltpolitikfähig“ werden (Juncker). 

Für die CDU ist die Wahl des Parteivorsitzenden am 25. April ein Präjudiz für die Kanzlerkandidatur. Mit Armin Laschet und Friedrich Merz stehen zwei Schwergewichte zur Wahl. Der Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes NRW will wieder „zusammenführen“, was an seinen sozialdemokratischen Vorgänger Johannes Rau („Versöhnen statt Spalten“) erinnert. Aus Nordrhein-Westfalen bringt er Vieles mit: Die Verbindung von Wirtschafts- und Energieland mit Klimapolitik und Umweltschutz; die Verkürzung von Planungsverfahren, die Kombination von Toleranz und Entschiedenheit. Laschet war der erste Integrationsminister. Europapolitisch schwärmt der Aachener und transnationale Katholik geradezu vom französischen Staatspräsidenten Macron. 

Der streitfähige Friedrich Merz will dagegen „Aufbruch und Erneuerung“ der CDU. Viel Konkretes und Präzises hat er inhaltlich nicht zu bieten, außer dem Versprechen, Wähler und Nichtwähler wieder zur Volkspartei der Mitte zurückzuholen (die CDU liegt derzeit über 20 %, 2013 lag sie noch über 40 %). Die Binnensicht auf die Partei wird für die Mitglieder am 25. April entscheidend sein. Wer und was kann sie mobilisieren? Auch Merz ist ein Teamplayer, freilich nur als Gewinner. 

Die SPD will diesmal frühzeitig die Kanzlerfrage klären. Nach den erfolgreichen Wahlen in Hamburg kommt nur Olaf Scholz in Frage, wer sonst? Der Vizekanzler hat konsequent an der ungeliebten großen Koalition festgehalten, die mit Hubertus Heil und Franziska Giffey in Teilen auch eine neue Sozialstaatsagenda entwickelt hat. Nach dem Scheitern von Jamaika hatte die SPD auf Drängen des Bundespräsidenten staatspolitische Verantwortung übernommen. Das Sowohl-als-auch von starker Wirtschaft und Sozialpolitik, Wachstum und Ökologie ist keine Schwäche, sondern eine Stärke von Politikern wie Olaf Scholz und Armin Laschet. Sie ist dem vereinfachten Entweder-oder überlegen.

Die Grünen werden genauso wie die SPD mit einem Kanzlerkandidaten oder einer Kanzlerkandidatin ins Rennen gehen müssen: Robert Habeck oder Annalena Baerbock, eine Doppelspitze wird es nicht geben. Sie sind nicht nur pragmatischer, sondern auch klüger geworden, was sich im neuen Grundsatzprogramm niederschlagen wird. Für Merz ist es eine linke, für Linke eine bürgerliche Partei. Beides stimmt nicht. In verschiedenen Koalitionen leisten sie gute Sacharbeit, sowohl in Brandenburg nach 100 Tagen wie in der langjährigen Regierung in Thüringen, die nur eine Stimme Mehrheit hatte. Die Wählerwanderung (auch von der SPD), insbesondere junger Leute, zu ihnen ist groß. 2021ist im Bund sowohl Rot-Grün als auch Schwarz-Grün oder Grün-Rot, Grün-Schwarz und Jamaika denkbar.

Bis dahin wird es noch viele unvorhergesehene Ereignisse, die intervenieren, geben. Demokratie, Partei und Regierung sind als Ebenen des Politischen zu unterscheiden. Ein kluger Parteienwettbewerb gehört ebenso zur Demokratie wie eine konsensuale Regierungsbildung. Am Wichtigsten ist jedoch, dass der Verfassungskonsens trotz Regierbarkeits- und Demokratieproblemen erhalten bleibt. Der Riss, der nach Thüringen durch die ostdeutschen Landesverbände der CDU geht, ist nicht gekittet. Die nächsten schwierigen Wahlen sind in Sachsen-Anhalt.    

Heinz Kleger lehrte von 1993 bis 2018 Politische Theorie an der Universität Potsdam.