20. Januar

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Das Comeback von Donald Trump als amerikanischer Präsident ist die Story des Jahres – vom verurteilten Verbrecher, fast ermordeten Kandidaten mit einem militärischen Sturmgewehr, das öffentlich verboten gehört, zum überraschend deutlichen Sieger gegen Kamala Harris, die er im Wahlkampf fortwährend respektlos herabsetzte. Harris hat in keinem der 435 Wahlbezirke mehr Stimmen bekommen als Biden vor vier Jahren. Das sagt alles.

Eine Geschichte wie sie nur in den USA, dem ‚Land der Möglichkeiten‘ möglich ist. Auch in Bezug auf die allenthalben wieder viel genannte Demokratie, die es weltweit zu verteidigen gilt, muss dieses Faktum irritierende Wirkungen haben. So „verrohen“ wie in den USA darf der politische Diskurs bei uns in Deutschland nicht, sagen fast alle Politiker und Theoretiker unisono. Das immerhin ist zum gemeinsamen Maßstab geworden. Was er taugt, werden wir sehen. 

Die atlantische Zivilisationsmission jedenfalls hieß stets „Freiheit und Demokratie“ (im Kalten Krieg gegen die konkurrierende Parole „Frieden und Sozialismus“). Dafür unternahm General und Präsident Eisenhower einen Kreuzzug (crusade) in Europa, das nach dem Krieg in seiner Entwicklung vom wohlwollenden Hegemon enorm profitierte. Diese Nachkriegszeit scheint nun definitiv zu Ende. 

Sogar den berechtigten Vorwurf, grundlegende Regeln der Demokratie wie den friedlichen Machtwechsel offenkundig und demonstrativ zu verletzen, drehten Trump, Vance, Musk und Co. öffentlich gegen die Demokraten – die modernen „Hexenjäger“ – um, welche die Meinungsfreiheit einschränken und die Justiz instrumentalisieren würden. 

Sie haben sich, welche Verdrehung, damit öffentlich zu Verteidigern der (amerikanischen) Demokratie aufgeschwungen und das hat ohne Frage, einmal mehr, weltweite Auswirkungen auf das konkrete Verständnis von Freiheit und Demokratie! Trumps Regierung bildet eine Plutokratie, das survival of the richest. 

Am 20. Januar wird Trump sich selbstbewusst bei seiner offiziellen Inauguration, bei der er, der Disruptor, als erster ehemaliger Präsident das letzte Mal nicht teilgenommen hatte, als Winner dieser Geschichte mit Aussichten auf „goldene Jahre“ präsentieren. Der Vorgänger-Präsident Biden wird dabei sein, Michelle Obama nicht. Aus seinen Plänen, was er am ersten Tag bei der Rückkehr ins Weiße Haus tun werde, hat Trump nie einen Hehl gemacht. Für einen Tag werde er sogar „Diktator“ sein – sagbar im Land der Möglichkeiten für den Absolutisten der Meinungsfreiheit. 

Trump wird die Grenzen der Exekutivgewalt sicherlich ausreizen in einer ohnehin schon stark präsidentiellen Demokratie amerikanischen Typs. Eine republikanische Mehrheit im Kongress und ein wohlwollendes Verfassungsgericht hat er nun zusätzlich auf seiner Seite. 

Sein deutlicher Sieg war dennoch kein Erdrutschsieg in einem föderal balancierten Staat wie den USA. Die Gewaltenteilung ist hier vertikal und horizontal etwas komplizierter, so dass ein einfaches Durchregieren nicht möglich ist. Das zeigte auch der Haushaltsstreit vor Weihnachten mit knappen Mehrheiten und Kompromissen, bei dem sich Trump und „Präsident Musk“ im Kongress mit einer Aushebelung der Schuldenobergrenze nicht durchsetzen konnten. 

Gleichwohl sind beim ständigen Hin und Her politischen Handelns und Gegen-Handelns stets überraschende Machtverschiebungen möglich, die unabsehbare Folgewirkungen haben können. Die neue traditionelle Republikanische Partei (Lincolns!) hat es eindrucksvoll bewiesen, und ihre politischen Gegner werden dazulernen müssen. 

Personalwechsel in Parteien, Parlamenten, Verwaltung, Justiz und Polizei sind nicht zu vernachlässigen. Biden legte deswegen noch kurz vor Torschluss sein Veto ein gegen einen Gesetzesentwurf, der 66 neue Richter an unbesetzte Bundesgerichte berufen sollte (Spiegel 24.12. 24). Liz Cheney, Tochter des früheren Vizepräsidenten, Trumps schärfste republikanische Kritikerin, will er ins Gefängnis bringen. Politische Rache kommt hinzu. 

Zudem gibt es Politikbereiche, die institutionell und politisch eingeschränkter sind gegenüber der präsidialen Exekutivgewalt und andere, die mehr ermöglichen, etwa: Einwanderung, Zölle, Klimaabkommen und die Verfolgung politischer Gegner. Sogar mit dem großen Nachbarn Kanada legt sich der Geschäftsmann Trump an, dass er als „51. Bundesstaat“ mit weniger Steuern und größeren Unternehmen“ eingemeinden möchte. Panama („diese Abzocke“), eine Lebensader des Welthandels, will er zurückholen („Jimmy Carters schwerer Fehler“) und ebenso Grönland, das er schon 2019 kaufen wollte. 

Plötzlich ist Grönland in aller Munde, geopolitisch, militärstrategisch und von seinen reichen Bodenschätzen (‘Seltene Erden‘) her. Allenfalls Eisbären waren bisher im Blickpunkt. Russland und China hatten sich allerdings schon vor Trump im Kampf um die Arktis in Stellung gebracht. Die Nato weiß das. Wie aber sehen die Grönländer ihre Unabhängigkeit? 

Auch die Beendigung von Kriegen gehört zu Trumps Agenda. In der Außenpolitik ist der Gestaltungsspielraum des amerikanischen Präsidenten am größten. Der „Rüpel“ und „Faschist“ ist hier für viele geradezu zum „Hoffnungsträger“ geworden: „Er werde das Gemetzel (in der Ukraine) beenden“, die russische „Fleischwolf“-Taktik will er stoppen, die Geiseln der Hamas endlich befreien, so die Ankündigungen, Drohungen und Hoffnungen. 

Im fürchterlichen Bürgerkrieg im Sudan, der dabei schon fast vergessen geht, ist es der USA zusammen mit der Schweiz jedoch bisher nicht gelungen, auch nur Friedensverhandlungen einzuleiten. Die USA spricht von „Völkermord“, einen Begriff, den sie bezüglich des Gazastreifens nicht verwenden will. Nordkoreas Diktator Kim Jong-un konnte Trump in seiner ersten Amtszeit auch nicht in die Schranken weisen. Er ‚verheizt‘ inzwischen rücksichtslos seine Soldaten im Ukraine-Krieg. 

Bundeskanzler Scholz sieht sich Mitte Dezember des alten Jahres durch Trump bekräftigt, bei seinem konstanten Nein zum deutschen Marschflugkörper Taurus mit großer Reichweite zu bleiben. Er hält einen gemeinsamen Weg zum Frieden mit dem amerikanischen Präsidenten ausdrücklich für möglich, es darf aber kein „Diktatfrieden“ werden! 

Verbale Maßgaben sind die Stärke der Europäer, insbesondere des ‚Moralweltmeisters‘ Deutschland. Die politische Realität mit ihrem Recht des Stärkeren ist eine andere. Der Südkaukasus demonstriert es gerade wieder. Geographie und Geschichte, im Verbund und ganz konventionell, bleiben grundlegende Orientierungsgrößen, die auch wieder auf die alte historische Konkurrenz zwischen Russland (Putin) und der Türkei (Erdogan) hinweisen. In Bezug auf Aserbaidschan war letzterer schon erfolgreich. 

Selenski ruft am 19. Dezember beim Gipfel in Brüssel die EU-Länder zu einer engeren Abstimmung mit Trump auf: „Ohne die USA wird es sehr schwierig werden.“ Für ihn ist Trump der „starke Mann“ in einem Konflikt, der globale Ausmaße angenommen hat und auf dessen Lösung Europa kaum noch Einfluss hat. Nur Trump kann Russland zu Friedensgesprächen „zwingen“ (6. Januar): Zuerst die Ukraine und Trump, dann Europa. 

Das technologische Experiment des 21. Jahrhunderts, das Putin dem Westen mit der Oreschnik-Rakete provokativ am 19. Dezember vorschlägt, belegt dies. Zum ersten Mal äußert Putin bei dieser viereinhalbstündigen Jahrespressekonferenz vor einer beeindruckenden Landkarte mit Groß-Russland und der einverleibten Ukraine allerdings auch den ganz untypischen russischen Satz „Politik ist die Kunst des Kompromisses“. 

Es ist auch eine Rede an Trump, obwohl er ihn nicht erwähnt. Zuvor hatte Putin wiederholte Male Verhandlungsbereitschaft signalisiert, bisher immer lediglich zu seinen bekannten Bedingungen. Trump und Putin werden einander viel zu sagen haben. Womit werden die beiden Unberechenbaren beginnen? Wird es ‚bloß‘ ein Waffenstillstand entlang eingefrorener Frontlinien („ein Weg ins Nirgendwo“, Lawrow 26.12.24) oder mehr? Wie sieht dieses „mehr“ aus? Darauf darf man gespannt sein. 

Ein größeres Diktat als Gewalt gibt es nicht, sie dominiert gegenwärtig in Kursk und im Donbass auf brutalste Weise das Geschehen. Auf diesem (Gefechts-) Feld muss man auch etwas können und das ist nicht wenig. Ein Drohnenkrieg überzieht das Land. Der ukrainische Vorstoß in Kursk soll den „Mythos vom unbesiegbaren Russland“ zerstören. 

In der Militärpolitik der letzten drei (und mehr) Jahre gab es viel Versagen, das zur heutigen Situation bis zur Kesselschlacht um Kurachowe und seinem Fall geführt hat, das am 6. Januar erobert wird. Damit ist der Weg frei zur strategisch wichtigen Stadt Pokrowsk, die ein Verkehrsknotenpunkt Richtung Westen ist. Eine Verbindungsstrasse ist derzeit noch offen. 

Der Front in der Ostukraine droht der Zusammenbruch. Desertionen gibt es selbst aus der 155. Vorzeige-Brigade, die in Frankreich ausgebildet worden ist. Anfangs motivierte noch „die Liebe zur Ukraine“ den Kampf, inzwischen nur noch „der Hass auf die Russen“, so die Aussagen von Soldaten. 

Die Ukraine hat nicht nur zu wenig Waffen, sie hat vor allem zu wenig Soldaten. Ein Großteil der Bevölkerung schließt Verhandlungen nicht mehr aus. Beide Seiten versuchen indes vor Trumps Amtsantritt alles, um auf dem Gefechtsfeld noch Gewinne zu erzielen für eine starke Position am Verhandlungstisch. 

Soziallagen liegen stets zwischen Freiwilligkeit und Zwang, welche die Betroffenen immer wieder neu mit sich und anderen aushandeln und abmachen müssen. Wer kann wie zwingen? Welche Hebel gibt es ökonomisch, militärisch und diplomatisch-politisch, zum Beispiel gegenüber Russland, das auf dem Vormarsch ist? Auch Russland verfügt 2025 nicht über endlose Reserven, aber es ‚wirft‘ zurzeit buchstäblich infanteristisch viel mehr Soldaten in die Schlacht, Welle um Welle. 

Waffenstillstand und Frieden sind extreme Fälle der Machtpolitik, die zudem mit großer militärischer Stärke geschützt werden müssen, wenn sie in der heutigen unsicheren neuen Weltunordnung nachhaltig sein sollen. Jedes Land definiert seine Interessen- und Einflusssphären neu, die Großmächte ohnehin. Die strategische Dimension von Rohstofffragen darf dabei nicht unterschätzt werden.

Europäische Garantien reichen Kiew nach äußerst bitteren Erfahrungen zurecht nicht mehr. Trump fordert zudem die Erhöhung des Verteidigungsbudgets auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Am 22. Dezember stimmt ihm der finnische Ministerpräsident Orpo sofort zu, eines Landes mit der längsten Grenze zu Russland. 2018 setzte Trump, der Ungeliebte, ja Verhasste, schon einmal eine notwendige Erhöhung der Ausgaben in der EU durch. 

Europa braucht den Schutz der „kriegerischsten Nation der Weltgeschichte“ (Lafontaine, FAZ 27.12., S.4), kein „Amis go home“. Wie aber steht es um die prioritäre Verteidigungsfähigkeit in Deutschland zum Beispiel? Wird es das 5-Prozent-Ziel für die Nato mitmachen? Am 8. Januar halten dies Politiker aller Parteien nach Trumps Pressekonferenz für „unrealistisch“. 

Es ist zu erwarten, dass Trump all die genannten Punkte in der Inaugurationsrede direkt ansprechen wird. Die notwendigen Regierungsdekrete werden folgen. In den ersten Tagen soll vieles besonders sichtbar und entschlossen – disruptiv – angegangen werden: „Bang, bang, bang“ (Steve Bannon, so der alte und neue politische Krieger im Hintergrund, der den Einfluss der libertären Tech-Milliardäre zurückdrängen will), 50 bis 60 Dekreten in den ersten 48 Stunden mit den Schwerpunkten Migration und Wirtschaft (FR, 16.12.). Massenabschiebungen und Razzien sollen sogleich durchgeführt werden, was die Anhänger der Remigration in Europa jubeln lässt.

Krönungsmesse

Die Vereidigung des 47. Präsidenten auf den Stufen des Kapitols ist ein Riesenspektakel, das wegen eisiger Kälte ins Innere der Rotunde verlegt werden muss, wie schon bei Ronald Reagan 1985. Die von Trump ungeliebte Hauptstadt Washington, in der 92 % der Einwohner für Kamala Harris stimmten, erwartet viele, auch viele gut betuchte Besucher. Aufgrund des Todes von Jimmy Carter hängen überall die Flaggen auf halbmast. Für Trump will man eine Ausnahme von der dreißigtägigen Tradition machen. Frau Pence war die Einzige, die beim Trauerzeremoniell Trump nicht die Hand reichte, Obama lächelte schon wieder. 

Das Amtsantrittsfoto des neuen und ältesten Präsidenten der US-Geschichte zeigt ihn bewusst unfreundlich und grimmig. Die zweite Amtszeit wird 100 % Trump sein, auch aus Trotz, es seinen Gegnern gezeigt zu haben, und seine radikalsten Ansagen, etwa bezüglich illegaler Migration, durchsetzen zu wollen. Das zeigt schon die Auswahl der Personen, die an seinem Kabinettstisch sitzen werden. Es sind durchgängig Hardliner, die seine Pläne umsetzen werden, und Verbündete, auf deren Loyalität er zählen kann. 

Für die zahlreichen Veranstaltungen rund um das Großereignis muss man tief in die Tasche greifen. Auf dem Candelight-Dinner mit Trump und Gattin kann man Kontakte knüpfen, hat aber auch einen siebenstelligen Beitrag zu bezahlen, was für manche Konzernbosse in Trumps neuer Plutokratie ein sinnvolles Investment ist, inzwischen auch für Mark Zuckerberg (Chief Executive Officer, Meta). Unter den Gästen der Vereidigung werden Meloni, Milei, Orban, Chrupalla, Hardt und viele andere sein. 

Uns interessiert hier lediglich die Inaugural Address, auf die man lange gewartet hat. Sie hat noch weit mehr gespannte Zuhörer auf der ganzen Welt als die Stadt Washington Gäste aufnehmen kann. 

Die Antrittsreden amerikanischer Präsidenten sind seit je eine bevorzugte Quelle zur Erforschung der amerikanischen Zivilreligion. In ihnen bündelt und aktualisiert der Präsident immer wieder aufs Neue seit 1789 die Elemente des Wertekonsenses für die Nation und die Welt.

Das muss heutzutage besonders prägnant und verständlich für ein vielfältiges Massenpublikum geschehen. Die amerikanische Nation wird rhetorisch im ‚großen Wir‘ vereinigt. Dabei wird ebenso an den Fundus der Vergangenheit angeknüpft, wie ein Weg in die Zukunft projiziert: „we will…“. Darauf liegt bei Trump, dem Geschäftsmann und Macher, der Akzent.

Die mitgebrachten Bibeln, auf die der Eid abgelegt wird, sind meistens Familienbibeln. Trump bringt sogar zwei Bibeln mit, die zweite hat schon Abraham Lincoln 1861 benutzt. Die Inszenierung gerade der Demokratie mit ihrem religiösen Hintergrund ist herausragend, die dieses Jahr mit dem Martin Luther King Day zusammenfällt, was Trump in seiner Rede ausdrücklich erwähnt.

Trump ist aber auch als Präsident kein Versöhner, sondern ein Winner, der in der Konkurrenz, wie er sie versteht, gewinnen will. Er sagte deshalb unmittelbar nach der gewonnenen Wahl am 5. November den für ihn treffenden Satz: „Der Erfolg wird uns wieder zusammenführen“, nach der Zeit der Polarisierung und einem unerbittlich hart geführten Wahlkampf. Die friedliche Transition, die immer – mit einer Ausnahme – selbstverständlich war, beendet allerdings diese Polarisierung, die Trump half, sich politisch durchzusetzen, noch in keiner Weise.

Trump setzt auf Leistung und Erfolg und verspricht „goldene Jahre“. Amerika wird wieder groß werden, das ist sein Slogan und zugleich sein Versprechen, das die MAGA-Bewegung zusammenhält, die ihn feiert. Biden konnte sie nicht stoppen. Trump kommt nun mit weit mehr Zuspruch und Rückhalt ins Amt als 2017 und in der Opposition ist mehr Resignation als Widerstand zu finden. Die Mehrheit ist allerdings auch nicht viel mehr als 51 %. Macht und Geld indessen konzentrieren sich jetzt auf Trump. In der ersten Reihe sitzen auffällig die Tech-Milliardäre. 

Die Inaugurationsreden definieren jeweils, was es bedeutet, „ein Amerikaner zu sein“. Die amerikanische Identität steht im Mittelpunkt. Ebenso findet sich immer der Bezug auf die mehrdeutige Freiheit als „Geschenk Gottes“ (Obama 2013). Sie steht im Zentrum des Wertekonsenses, dessen Elemente, in Variation mit der Zeit, unterschiedlich betont und interpretiert werden.

Trump beginnt seine Antrittsrede mit dem Satz: Amerikas goldenes Zeitalter beginnt gerade jetzt! Das Land wird wieder blühen und in der Welt respektiert werden: „Er sei von Gott gerettet worden, um Amerika wieder zur Größe zu führen“. Das geht über die bisherige bürgerliche Zivilreligion als Mehrheitskonsens hinaus. 

Man werde sich nicht mehr übervorteilen lassen und für andere bezahlen, so spricht der Dealmaker. Stolz, frei und wohlhabend werde man sein, hier spricht er mit den Patrioten. Es gibt nichts, was wir nicht erreichen können: „decline is over“. Das ist der amerikanische Traum. Seiner Vorgängerregierung warf er permanent schlechte Regierung und Niedergang des Landes in düsteren Bildern vor. 

Dagegen entwirft er ein Zukunftsbild des Landes unter seiner Führung in den gewohnten Superlativen. Es ist eine Rede an seine Anhänger, eine Brücke zum liberalen Amerika baut er nicht. Die Inhalte sind aus seinen zahlreichen Wahlkampfreden bestens bekannt, Trump polarisiert weiter. 

Den größten Teil seiner mehr als zwanzigminütigen Rede widmet er den Executive Orders, den präsidialen Erlässen, die er schnell umsetzen will. Hier kann er für einen Tag Diktator spielen, der entschlossen Führungsstärke demonstriert. An erster Stelle steht die Verteidigung der eigenen Grenzen gegen illegale Einwanderung.

Er erklärt den Notstand an der Südgrenze und will eigene Truppen einsetzen, „Remain in Mexiko-Politik“. Sodann will er die Rekordinflation beenden. Dafür will er auch den „Energienotstand“ erklären, was in Amerika absurd ist. Die bescheidenen grünen Restriktionen von Biden werden alle zurückgenommen, dafür soll wieder „flüssiges Gold fließen“ und so weiter und so fort. Wir wollen hier nicht auf alles eingehen.

Das von Bannon vorausgesagte „Bang, Bang“ findet tatsächlich statt. Das ist enttäuschend und aus Trumps Sicht zugleich konsequent. In einer Antrittsrede hätte es andere Chancen und Potenziale gegeben, die nicht genutzt werden. Viele Ankündigungen ohne weitere Konkretisierungen, auch in Bezug auf die in Europa am meisten gefürchtete Zollpolitik, für die er eine eigene Institution schaffen will, bleiben zudem im Raum stehen. Sie werden noch für viel Diskussionsstoff sorgen.

Die Ukraine erwähnt er mit keinem Wort, was viele dringend erwartet hatten, obwohl er sich als „Friedensstifter“ sieht. Die Geiselbefreiung von der Hamas rechnet er sich freilich zu. Was bleibt im Gedächtnis? Panama will er zurückholen, und an Musk gewandt, den Mars sollen die Amerikaner, die ewigen Grenzverschieber, erobern. Gewinner sein, darum geht es. Der Schlusssatz lautet nicht zufällig: „Wir sind Amerikaner und die Zukunft gehört uns“. Wir werden gewinnen wie niemals zuvor!

Ein neues nationalistisches Zeitalter?

Mit Trumps Vereidigung am 20. Januar beginnt „ein neues Kapitel für Europa und die ganze Welt“, so der ukrainische Präsident Selenski in Ramstein am 9.Januar.  Beginnt mit Trumps Präsidentschaft ein neues „nationalistisches Zeitalter „oder ein „imperialistisches Zeitalter“? Das hängt davon ab, wie man die Begriffe Nationalismus und Imperialismus versteht. Oder ist es lediglich so, dass die internationalen Beziehungen wieder in eine anarchische Ära übergehen ohne klare Hegemonialmacht. 

Die Zeit der Pax Americana scheint jedenfalls vorbei, und eine neue Rangordnung hat sich noch nicht herausgebildet. Sie muss erst noch mit China und Russland auf dem Boden, in der Luft und zu Wasser, im Weltraum und Cyberspace ausgefochten werden. Dabei geht es auch und vor allem um den unkontrollierten Wettlauf der (Waffen-)Technologien (Kampfflugzeuge, Flugzeugträger, Raketen, Drohnen). Militarisierung in neuen Dimensionen und eine Zeit des Unfriedens und Vorkriegs erwarten uns sowie eine sich global verschärfende wirtschaftliche Konkurrenz.

Die Zahl souveräner Staaten auf der Welt hat sich rapide erhöht (versiebenfacht), sie verfolgen ihre eigenen (nationalen) Interessen, sind Mitglieder der Uno, EU oder Nato und gehen neue Allianzen ein (Brics, SCO, AUKUS). Um letztere gibt es eine Konkurrenz der besseren Kooperation in wirtschaftlicher, politischer und militärischer Hinsicht. An dieser Stelle darf man politisch nicht naiv und provinziell bleiben. Die Welt wird perspektivisch neu gesehen und aufgeteilt. Die Pluralisierung der Staatenwelt und nicht der Welt- oder Einheitsstaat beschreibt das zivilisatorische Faktum, von dem politiktheoretisch auszugehen ist. 

Als geopolitischer Konflikt des Jahrhunderts galt für Bidens Amerika die Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Autokratie. In seiner letzten Rede an die Nation warnt der scheidende Präsident vor einer „gefährlichen Oligarchie“ in seinem Land, „dessen Idee einzigartig in der Welt sei“ (Albright). Demokratien wie Diktaturen haben verschiedene Gesichter. Diese Realitäten sind fortan genauer zur Kenntnis zu nehmen. 

Die russische Oligarchie ist wieder eine andere. Innen – wie außenpolitisch spielt das eine Rolle und wirkt aufeinander ebenso ein wie auf den Aufbau einer neuen Weltordnung, hoffentlich in friedlicher Koexistenz, denn das Völkerrecht gebietet, dass Grenzen nicht verschoben werden dürfen. Das ist vor allem für kleine Nationen von Belang. 

Die Welt ist nicht nur unsicherer und gefährlicher geworden, sie ist auch unbekannt, weshalb sich Überheblichkeit verbietet, und theoretisch undurchschaubarer aufgrund ihrer Hyperkonnektivität.

Bildnachweis: IMAGO / UPI Photo